Vorsicht ist geboten

Genau 95 Tage sind seit dem triumphalen Gewinn des Weltmeisterpokals der deutschen Nationalmannschaft vergangen. Was folgte, war eine herbe 2:4 Pleite im Testspiel gegen Finalgegner Argentinien und ein holpriger Start in die EM-Qualifikation. Platz vier nach drei Spieltagen, so sieht die überschaubare Bilanz aus. Ein Umstand, der noch keine Sorgen oder gar Panik auslösen sollte, denn es gibt durchaus nachvollziehbare Gründe für diesen mäßigen Start.

Rücktritt der drei Säulen

Mit Kapitän Philipp Lahm, Abwehrchef Per Mertesacker und WM-Rekordschütze Miroslav Klose sind Bundestrainer Joachim Löw zentrale Spieler weggebrochen, die das Gesicht der Mannschaft rund ein Jahrzehnt lange geprägt haben. Sportlich sowieso, aber auch als Führungsspieler hinterlassen sie ein Vakuum, das erst nach und nach zu schließen sein wird.

Verletzungsbedingte Ausfälle

Neben Sami Khedira, Bastian Schweinsteiger, Mesut Özil und Marco Reus, um nur die prominentesten zu nennen, fehlten dem Bundestrainer ein weiteres halbes Dutzend verletzter potenzieller Stammspieler. Selbst ein für den Weltmeister nur schwer zu kompensierendes Handicap.

Form und Fitness auf dem Prüfstand

Sportwissenschaftler schlagen schon seit längerem Alarm, wenn es um die Belastbarkeit von Profi-Fußballern geht, die an die 70 Pflichtspiele im Jahr bestreiten. Bei allem Fortschritt, den die Medizin, die Physiotherapie aber auch die Trainingssteuerung in den vergangenen Jahren gemacht haben, ist parallel das Spiel immer schneller und athletischer geworden. Die Regenerationsphasen, speziell für die Spitzenspieler, sind durch zahlreiche aufgeblähte Wettbewerbe und zweifelhafte Trainingslager und Testspiele in weit entfernten Zielmärkten wie Asien oder den USA, die Rendite versprechen, oftmals zu kurz.

Junge Spieler, die Zeit brauchen

Beim Spiel gegen Irland standen fünf Spieler in der Anfangsformation, die bei der WM in Brasilien keine oder nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Der Integrationsprozess läuft, doch dieser erfordert Geduld, zumal wichtige Stützen, die Halt bieten könnten, rar gesät sind.

Die Problemzonen: Außenverteidigung und Angriff

Spätestens bei der WM wurde es offenkundig, wo es im deutschen Fußball krankt. Dem Problem auf den beiden Außenbahnen in der Viererkette begegnete Löw mit dem Einsatz des gelernten Innenverteidigers Benedikt Höwedes auf links und mit wechselnden Personalien auf rechts, bis Philipp Lahm im späteren Turnierlauf seine angestammte Position als Rechts- verteidiger von Weltklasseformat wieder einnahm, doch dieser steht bekanntlich nicht mehr zu Verfügung. Torgarant Miroslav Klose hinterlässt eine auf Sicht nicht zu schließende Lücke.

Der WM-Titel

So paradox es auch klingen mag, der Gewinn der Weltmeisterschaft ist Fluch und Segen zugleich. Eine gestiegene Erwartungshaltung seitens der Öffentlichkeit, Gegner, die noch motivierter sind und zugleich zumindest im Unterbewusstsein die reale Gefahr, ein paar Prozentpunkte weniger zu geben, da das größte Ziel, das ein Profi-Fußballer haben kann, der Gewinn der Weltmeisterschaft, erreicht wurde. 

Ausblick

Das letzte ausstehende EM-Qualifikationsspiel in diesem Jahr gegen Gibraltar sollte gewonnen werden und wenn dann in den kommenden Wochen und Monaten die etablierten Kräfte zurückkehren, dann ist mit dem Weltmeister wieder zu rechnen, spätestens 2016 bei der EURO in Frankreich, sofern sich die DFB-Elf qualifiziert, soviel Einschränkung muss sein.